Landsberg
im 20. Jahrhundert
Bürgervereinigung zur Erforschung der Landsberger Zeitgeschichte

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Die ersten Jahre
- Leugnen und Diffamieren -

Die historischen Ereignisse zwischen 1923 und 1954 in und um Landsberg am Lech wurden  vor Ort jahrzehntelang  ignoriert. Die Kriegsgeneration schwieg – und wenn sie redete, dann meist um zu beschönigen und zu verharmlosen. Die Nachkriegsgeneration, von allen wesentlichen Informationen abgeschnitten, stellte keine unbequemen Fragen. Die Idylle schien perfekt – fast.

1982 beteiligte sich eine Schülergruppe unter der Betreuung ihres Geschichtslehrers und Tutors Anton Posset am Geschichtswettbewerb Deutsche Geschichte um den Preis des deutschen Bundespräsidenten. Die Existenz der vielen KZ-Friedhöfe bildete die Grundlage für eine Reihe von Fragen über Themen, die man längst als erledigt glaubte.
Als Bundespräsident Prof. Dr. Karl Carstens die Schülerarbeit mit einem 1. Preis würdigte und sich im folgenden Jahr die Bürgervereinigung Landsberg im 20. Jahrhundert gründete, entstand große Unruhe in Landsberg.

Die Reaktionen der gewählten Vertreter der Stadt ließen nicht lange auf sich warten.  „Ein Konzentrationslager in Landsberg hat es nie gegeben“ und die Bürgervereinigung „schadet dem Ruf der Stadt“ waren die Statements des damaligen Oberbürgermeisters H. Hamberger. [1]
Anton Posset, seit damals 1. Vorsitzender der Bürgervereinigung, wird als vermeintlicher „Rädelsführer“  zur Zielscheibe zahlloser  Attacken gegen  den Verein [2]. Besonders pikant und problematisch: sein damaliger Schulleiter hatte als Wehrmachtsangehöriger die KZ-Häftlinge vor den Toren Landsbergs beaufsichtigt und in einem Interview erklärt: „Sie waren arbeitsfähig und froh, froh hier zu sein, arbeiten zu dürfen, beschäftigt zu werden“ [1a]

Während Reste der NS-Großbaustellen und Konzentrationslager zu  Kies- oder Abfallgruben werden, kommt es im  November 1984 zu einer denkwürdigen Stadtratsitzung [2]. Die letzten Relikte der NS-Zeit, fünf KZ-Erdbunker, sollen auf Antrag der Bürgervereinigung mit Unterstützung  durch den  bayerischen Ministerpräsidenten F.J. Strauß in die Denkmalliste aufgenommen werden und als Mahnmal erhalten werden. Die Beiträge überschlagen sich, die Räte debattieren unter „sichtlicher Erregung“: „Ich wünsche nicht, daß Landsberg zu einem zweiten Dachau hochstilisiert wird“, so der zweite Bürgermeister Günter Otremba, „zur Bewältigung der jüngeren Landsberger Vergangenheit gehört ... nicht nur das Erinnern an die Schrecken der NS-Zeit, sondern auch die andere Seite“. Im Stadtrat werden Forderungen „nach einer unabhängigen Kommission“ laut. Aus Furcht es könne eine „negative Gedenkstätte“ entstehen, verlangt Stadtrat F.X. Rößle,  „daß die Stadt die Erforschung der jüngsten Geschichte ... zu ihrer Angelegenheit machen soll“. Mit 14 gegen 11 Gegenstimmen erhalten vier der KZ-Erdbunker die Denkmalfähigkeit.

Die Bürgervereinigung wird zunehmend diffamiert, ihre Forschungsergebnisse als „unseriös und übertrieben“ dargestellt. Vereinsmitglieder werden mit böswilligen und beleidigenden Pamphleten [4] aus der rechten Szene überschüttet.
Der Zugang zum Stadtarchiv wird nur noch willkürlich gewährt, Unterlagen verschwinden. 1985 „entnimmt“ der Stadtarchivar eine Reihe von erschreckenden KZ-Fotos die ermordete KZ-Häftlinge zeigten aus dem Stadtarchiv und „verlegt“ diese bis 1993 bei sich zu Hause.
1985 ändert das zu dieser Zeit noch objektiv berichtende „Landsberger Tagblatt“  seine Berichterstattung. Oberbürgermeister und Stadtrat werden geschont, kompromittierende Äußerungen nicht gedruckt. Noch werden Leserbriefe, die die fehlende Berichterstattung ergänzen zugelassen.

Dokumente:

[1]

(...) „Nicht immer wieder aufwärmen“
Dem Landsberger Oberbürgermeister Hanns Hamberger (CSU) scheint die Auseinandersetzung der Bürgervereinigung mit der jüngeren Geschichtsschreibung der Stadt Landsberg freilich alles andere als willkommen zu sein. Die Forschungsarbeit sei „keine spezifisch Landsberger Sache“ glaubt das Stadtoberhaupt, weil es „nicht auf die Geschichte der Stadt bezogen ist, sondern auf die Konzentrationslager, die damals unter dem Namen Kaufering liefen“. Ein „KZ-Landsberg“ weiß Hamberger, „hat es nie gegeben“. So drängt sich dem Oberbürgermeister die Frage auf, „ob dies alles der Völkerverständigung dient, wenn das immer wieder aufgewärmt wird“. Schließlich könne 40 Jahre nach der Beendigung des Zweiten Weltkriegs die detaillierte Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dessen Folgen vor Ort heute „zu einem Nationalismus und Chauvinismus“ in Teilen der Landsberger Bevölkerung führen. Und das, so ist sich Hamberger sicher „kann nicht im Sinn der Völkerverständigung sein.
Darüber hinaus profitiere das Image Landsbergs keineswegs von der Vergangenheitsbewältigung, die die Bürgervereinigung anstrebe: „Man schadet dem Ruf der Stadt“, gibt der OB zu bedenken, „wenn man den Eindruck erweckt, daß Landsberg zu einem zweiten Dachau hochstilisiert wird“. Dies sei ein Umstand, der „in der Bevölkerung Unwillen erregt“. (...)
(Süddeutsche Zeitung 13.7.1984, Artikel: Die Vergangenheit verschweigt man lieber – Landsberg nicht zum zweiten Dachau hochstilisieren)

[1a]

„(...)  die Personalakte im Ministerium wuchs seit seinen Nazi-Recherchen von 120 auf über 800 Seiten an. Pikant: Possets Vorgesetzter, Schulleiter Waldemar Doetsch, war als 20jähriger Wachmann in den Landsberger Lagern. Bei einem Gespräch mit Schülern sagte er: „Sie (die Häftlinge) waren gesund. Es waren keine KZ-Gestalten. Sie waren arbeitsfähig und relativ froh, hier zu sein, arbeiten zu dürfen, beschäftigt zu werden.“
Auszug Artikel „Lehrer als Sau beschimpft – weil er Nazi-Vergangenheit aufdeckt“ TZ vom 6.5.1991

[2]

(...) Landsberger Bürger wehrt Euch!
Ein Landsberger Studienrat gerät bei dem Versuch, sich in der Öffentlichkeit zu profilieren, auf Abwege. Mit einer von ihm gegründeten Bürgerinitiative, will er die sog. NS-Zeit auf seine Weise „aufarbeiten“. (...) Es drängt sich die Frage auf, welchen Einfluß solcher Pädagoge auf seine Schüler nimmt."
Auszug anonymes Flugblatt März 1984: verteilt an Schulleitung, Kollegen, Schülermitverwaltung und Elternbeiräte beider Landsberger Gymnasien

[2]

(...) „UBV Lumpenkurier
Personalien:
In Anerkennung seiner unermüdlichen Bemühungen, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit von Dachau abzulenken und auf Landsberg zu konzentrieren, hat die Stadt Dachau dem bekannten Historiker des 20. Jahrhunderts, Anton Posset, die Ehrenbürgerwürde angetragen.“
Auszug Faschingsblatt 1985 der UBV Landsberg
(Anmerkung: Für die UBV und das Faschingsblatt zeichnete u.a. der spätere Bürgermeister F.X. Rößle verantwortlich)

[2]

„Anstand und Ehrfurcht vor den Lebenden und Toten erfordern eine Abkehr von den unmoralischen, verlogenen und von keiner ethischen Norm getragenen „Forschungen“ der Bürgervereinigung in LANDSBERG: Wer hier eine Distanz aus Gewissensgründen  nicht vollzieht, den wird die Zukunft dazu zwingen! (W. Matttern)“ (...)
Flugblatt von 1984 mit folgendem Schmähgedicht auf Anton Posset

[2]

"(...) bleiben Sie weiterhin „tapfer und unbeugsam“ beim weiteren Herumziehen des deutschen Volkes im Dreck, nach der Parole „Viel Feind viel Ehr“. Mit entsprechender Ausdauer werden Sie schon noch ein paar Kumpels finden, welche Ihnen dabei die Stange halten, damit diese nicht ab- und Ihnen auf den Kopf fällt!"
Postkarte 23.12.1984 gez. Siegfried Späth, Fürstenfeldbruck

[2]

(...) es soll hier nämlich die Rede von verstärkten rechtsextremistischen Aktivitäten in Landsberg sein. Leider betrachten einige Unverbesserliche unsere Stadt als ihr Mekka:
Eine Schülergruppe verfaßt eine Arbeit über das Ende des jüdischen Holocaust im Landkreis Landsberg – die Folge sind anonyme Drohungen bis hin zu Morddrohungen. Es erscheint eine Darstellung der Nachkriegsgeschichte, die eine Belastung für das deutsch-amerikanische Verhältnis darstellt. Eine offizielle Reaktion bleibt aus, einige Bürger stellen sich dem entgegen. Sie werden desavouiert. Die „Bürgervereinigung“ wird in einer Resozialisierungsschrift, die in der Justizvollzugsanstalt verteilt wird, geschmäht. Es wird die unmögliche Behauptung aufgestellt, auf die Zeit der NS-Strafjustiz und der KZs um Landsberg sei erst das Schlimmste gefolgt, nämlich das Kriegsverbrechergefängnis. Ein Haus in der Landsberger Innenstadt wird über und über mit Naziparolen verschmiert: „Führer wir folgen dir bis in den Tod“, „Nur ein toter Jude ist ein guter Jude“.  An Laternenpfählen werden Aufkleber der rechtsextremistischen „Volksbewegung für Generalamnestie – Freiheit für Rudolf Hess“ angebracht. Eine rechtsextremistische Organisation errichtet am Hellmairplatz einen Stand und verteilt dort ihr Propagandamaterial wie z.B. den „Deutschen Anzeiger“, der gegen ausländische Arbeiter hetzt, demokratische Bundespolitiker beschimpft und den Vorsitzenden der Bürgervereinigung  diffamiert.
Schließlich stellt sich Wikingjugend in Landsberg ein, um auf dem Spöttinger Friedhof (Anm.: auf dem „Spöttinger Friedhof“ sind u.a. viele der 284 hingerichteten NS-Verbrecher des War-Criminal-Prison 1 Landsberg beerdigt) ihre Heldengedenkfeier zu zelebrieren. Mit Runen verzierte Kerzen erhalten u.a. die Gräber des ehemaligen KZ-Kommandanten von Dachau oder jenes SS-Generals, der den Holocaust in führender Stellung organisierte. Es wird peinlich beachtet, daß ja kein Grab eines sonderbehandelten Opfers des Dritten Reiches versehentlich Blumen oder Kerzen erhält. Die Opfer der NS-Gewaltherrschaft werden als „Verbrecher“ verunglimpft. In einem Brief an den Oberbürgermeister und die Stadtratfraktionen wird die Tätigkeit der Bürgervereinigung als Schmutzarbeit hingestellt. Auf 7 Seiten werden angebliche Untaten von Amerikanern an angeblich unschuldigen KZ-Wächtern in einer Weise angeprangert, daß die Verbrechen der nationalsozialistischen Gewalthaber in den KZs und Gefängnissen geradezu als harmlos erscheinen. (...)"
Auszug eines Briefs an die Redaktion des Landsberger Tagblatts vom 13.12.1984 von Frau  E.R.

[3]

"(...) Um diese Sache, so fand zum Beispiel der CSU-Rat Erich Zwinger, „wird sehr viel Wirbel gemacht.“ Zwinger warnte davor, „aus diesen Bunkern ein Politikum zu machen.“ Denn wer sich über die NS-Zeit informieren wolle, der habe doch wirklich anderweitig genügend Möglichkeiten. Der zweite Bürgermeister, Günter Otremba (Freie Wähler), wurde noch eine Spur deutlicher, als er sagte, er wünsche nicht, daß „Landsberg zu einem zweiten Dachau hochstilisiert“ werde, „das sollte in keinem Fall geschehen.“
Generell, so erklärte das stellvertretende Stadtoberhaupt, gehöre zur Bewältigung der jüngsten Landsberger Vergangenheit ja nicht nur die Erhaltung der Bunker – und damit das Erinnern an die NS-Zeit -, sondern „auch die andere Seite“. Und die sieht, folgt man den Worten des CSU-Fraktionsvorsitzenden Ernst Müller, so aus, daß nach dem Einmarsch der Amerikaner sich freigelassene und in einem Lager bei Landsberg gesammelte Juden einmal sogar schlägernd auf Landsberger Kommunionkinder gestürzt hätten. „Vielleicht“, so steigerte sich Müller in sichtliche Erregung, „waren das Insassen der Bunker, die das gemacht haben?“
Natürlich regte sich da Widerstand aus den Reihen der SPD, was wiederum zur Folge hatte, daß es der CSU-Fraktionschef gar nicht schön fand, wie „langsam versucht“ werde, die „CSU in eine Ecke zu drängen, wo sie nicht hingehört.“ Während sich Oberbürgermeister Hamberger (CSU) bei diesem Tagesordnungspunkt recht schweigsam gab, stellte Stadtrat Franz Xaver Rößle (Mitglied der unabhängigen Bürgervereinigung (nicht zu verwechseln mit der Bürgervereinigung des Lehrers Posset) fest: „In Landsberg ist bei vielen Leuten die Befürchtung da, daß da draußen eine negative Gedächtnisstätte errichtet werden soll“, was unter Umständen gar nicht mit einer Schuldzuweisung verbunden sein könne . (...)"
Süddeutsche Zeitung 1./2.12.1984, Artikel: Bunker wecken böse Erinnerungen – Landsberg will kein zweites Dachau werden

"(...) unser Bestreben ist es, das andere Landsberg darzustellen. Wir wollen der Bürgervereinigung zwar nicht entgegenwirken, aber wir wollen nicht haben, daß die Bürgervereinigung als einziges veröffentlichendes Sprachrohr nach außen dasteht. Überörtlich wird ein Bild der Stadt gezeichnet, das wir zurechtrücken wollen, daß Landsberg nicht als Ausbund des Schreckens erscheint. (...)"
Landsberger Tagblatt 11.5.1985, Das andere Landsberg darstellen
Über Fragen des Tourismus und über das Bild der Stadt ein LT Gespräch mit dem Verkehrsverein

[4]

"(...) Ob CSU-, SPD- oder FDP-Wähler, es reicht ihnen langsam!
Landsberg KZ-Stadt, Stätte des Naziverbrechens, Ort der Menschenvernichtung?
Schluß mit den fragwürdigen Methoden von Verdächtigungen, Verleumdungen und Anzeigen durch Mitglieder einer Landsberger Bürgervereinigung, bei der Erforschung der Zeitgeschichte. Wir brauchen keinen neuen „Wallfahrtsort“ für deutsche Schuld. (...) Landsberg hat es nicht verdient, von einer Minderheit agierender Kräfte zu einer „Schädelstätte“ abqualifiziert zu werden. (...)"
Auszug aus: Traktat wider das historische Inquisitionstribunal zu Landsberg im 20. Jahrhundert von 1986 von D. Lehner, Utting; dieses Flugblatt ging an alle prominenten Persönlichkeiten des Landkreises Landsberg.